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17.01.2014 - 28.03.2014

Dakar ne dort pas … Dakar se noie“

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Flurina Rothenberger
«DAKAR NE DORT PAS … DAKAR SE NOIE»
17. Januar bis 28. März 2014

Dakar ertrinkt. Immer verheerender sind die alljährlichen Wasserfluten, die Häuser zerstören und Krankheitsherde bilden. Die Ursachen sind rasch gefunden – der Klimawandel, die Urbanisierung, die sozialen Verhaltensregeln – doch Lösungen sind keine zur Hand. Wie komplex diese Faktoren verzahnt sind, zeigt das rechercheintensive Langzeitprojekt von Flurina Rothenberger: Die Zürcher Fotografin (*1977) spürte den verhängnisvollen Folgen der alljährlichen Überschwemmungen in den Vororten der senegalesischen Hauptstadt nach.

Die fotografische Studie wurde mit dem Publikumspreis des Greenpeace Photo Award ausgezeichnet. Ein paar Zentimeter bloss, doch sie verhindern das Schlimmste: Wie ein kostbares Gut heben Backsteine eine Pritsche, ein bescheidenes Nachtlager, in die Höhe, nur knapp über den Wasserspiegel. Darauf sitzt eine Frau mit untergeschlagenen Beinen. Gelassen blickt sie in die Kamera von Flurina Rothenberger. Die Überschwemmungen sind kein Einzelereignis, seit einigen Jahren kehren sie jede Regenzeit (August bis Oktober) wieder. Die Menschen haben gelernt, mit ihnen zu leben. Sie haben keine Wahl. Denn trotz ihrer Zerstörungskraft ist eine nachhaltige Lösungen nicht in Sicht. Und so versinkt die Banlieue Dakars auch dieses Jahr wieder in der braunen, stinkenden Brühe.

Flurina Rothenbergers Bilder zeigen das Leben mit der Katastrophe. Über 33 000 Haushalte werden in den Vororten Dakars jährlich von den Überschwemmungen heimgesucht. Es sind die von den Behörden vernachlässigten urbanen Einzugsgebiete mit ihren steigenden Einwohnerzahlen und fehlenden Ressourcen, die von den Auswirkungen des Klimawandels besonders in Mitleidenschaft gezogen sind. Es gibt kaum ein Haus in den betroffenen Quartieren, das nicht angehoben und auf mit Unrat zugeschütteten Ruinen errichtet wurde. Das stehende Gewässer ist allgegenwärtig. Oft von pittoresker Schönheit, spüren Flurina Rothenbergers Bilder in gewollter Ambivalenz den Beeinträchtigungen des Alltags nach. Die sprühende Farbigkeit afrikanischer Mode kollidiert mit dem Bleigrau von toxischem Lehm und aufgeschwemmtem Müll. Der Wunsch nach Ordnung, Schönheit und Normalität zerbricht an der Schwerkraft, die das Wasser nach ihren eigenen Gesetzen in Zimmer, Höfe und Strassen lenkt. Algen malen smaragdgrüne Muster auf Gruben, in denen die Brühe oft jahrelang steht. Die vertraute Umgebung entfaltet eine eigentümliche neue Anmutung, wenn sie von den Wasserfluten in Besitz genommen wird.

Die wiederkehrende Überflutung der Banlieues von Dakar ist ein verhängnisvolles Beispiel für die wechselwirkende Kraft zwischen Natur und Mensch. Während der von Dürre ausgelösten Hungersnot im Sahel in den 70er bis 80er-Jahren flüchteten zehntausende Menschen auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage in die senegalesische Hauptstadt. Ungeachtet ihrer topografisch ungünstigen Voraussetzungen bevölkerten die Landflüchtigen das Überschwemmungsgebiet. Heute stehen dort spontane Vorstädte, entstanden ohne jegliche Raumplanung und Infrastruktur. Es mag verwundern, dass die Bewohner der Überschwemmungsgebiete dennoch hartnäckig Jahr für Jahr mit den Fluten um ihr Anrecht auf Wohnraum ringen. Doch die Nähe zur Hauptstadt Dakar als Lebensader und der soziale Kodex, der es jedem verheirateten Mann vorschreibt, ein Haus zu bauen, lassen ihnen keine andere Wahl. Gerade für Menschen, die täglich um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen und den anarchischen Regeln der Banlieue ausgeliefert sind, symbolisiert die eigene Bleibe den Rückzug in das schützende Nest der Familie. „Wir befinden uns ununterbrochen im Kampf gegen das Schmutzwasser“, zitiert Flurina Rothenberger eine Frau, die in der Banlieue Dakars aufgewachsen ist.

In ihrer Arbeit reflektiert die Zürcher Fotografin die Betrachtungsweise der Betroffenen ebenso wie die erschütternden Tatsachen. In einer Reihe von Interviews mit Bewohnern, ortsansässigen Ingenieuren, Geografen, Musikern, Künstlern und Fotografen spürte sie den Ursachen und Auswirkungen der Krise nach. Ihr Projekt bildet die Betroffenen nicht bloss ab, sondern auch ein. Diese kollaborative Praxis als wesentlicher Aspekt ihrer Arbeitsweise gewinnt in der Ausstellung deutlich an Sichtbarkeit: Nebst eigenen Bildern zeigt die installative Hängung Werke des dakarischen Künstlers und Geografen Cheikh Diallo. Seine Gemälde nach eigenen Fotografien spiegeln eine lokale und zugleich individuelle Sicht auf das ökologische und soziale Desaster. Ein Video des Hiphop-Musikers Gora, das für diese Ausstellung entstanden ist, thematisiert das Geschehen aus einem weiteren Blickwinkel. Diese Zusammenarbeiten machen Flurina Rothenbergers Reportagen authentisch und glaubwürdig. Die Fotografin hat für diese Ausstellung mit einer Reihe von Trägermaterialien und Drucktechniken experimentiert. Sie reichen von gefundenen Backsteinen bis hin zu geklebten Plakaten. Im Verbund mit einem räumlich mehrschichtigen Arrangement ergibt sich eine brüchige Ästhetik. Diese trägt dem Thema so einfallsreich wie einfühlsam und fern illustrativer Plakativität Rechnung. Subtil illustrieren die unterschiedlichen Fotografien, Text- und Tondokumente die Stimmung in den versehrten Siedlungsgebieten. Die Werke wurden mit Unterstützung der Fotostiftung Schweiz produziert. Die Ausstellung wird von Sascha Renner kuratiert.
(Text: Sascha Renner und Flurina Rothenberger)

Die Künstlerin
Flurina Rothenberger, geboren 1977 in Männedorf, aufgewachsen in der Elfenbeinküste, ist seit 2004 weltweit als freie Fotojournalistin tätig. Sie hat an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich studiert und lebt auch in dieser Stadt. Ihre Arbeit ist geprägt von verschiedenen Kulturen und deren Alltag. In ihren fotografischen Dokumentationen erzählt sie von Missständen, Umweltschäden und schwierigen Lebensbedingungen, verursacht durch ignorante Regierungen, Konflikte und Machtsysteme, aber auch von kleinen Erfolgsgeschichten, welche auf eben diesen Nährböden entstehen. Es sind bildliche Berichte ausserhalb des medialen Schlaglichts, die im westlichen Gesellschaftsfokus nur selten Eingang finden.   Die Partnerschaft – Greenpeace Photo Award
Die COALMINE präsentiert die Preisträger des Greenpeace Photo Award in Zusammenarbeit mit Greenpeace und dem Kulturmagazin „Du“. Für den 2012 erstmals ausgeschriebenen Greenpeace Photo Award wurden renommierte Fotografinnen und Fotografen von Greenpeace Schweiz und „Du“ eingeladen, ein Projekt zum Thema „Umwelt – Umweltzerstörung“ einzureichen. Der Publikumspreis, von Greenpeace finanziert, wurde in einer Online-Wahl vergeben und ging an Flurina Rothenberger. Dadurch konnte die Recherche zum Projekt von der Gewinnerin 2013 teilfinanziert werden. Ein Auszug der Fotoarbeit wird in „Du“ erstveröffentlicht.