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07.04.2017 - 10.06.2017

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7. April bis 10. Juni 2017

Vernissage: Donnerstag, 6. April 2017, ab 18.30 Uhr
19 Uhr Begrüssung und Einführung

Was uns zu Beginn des Lebens formt, spielt sich daheim ab, in den eigenen vier Wänden, mit Mutter, Vater, Schwester, Onkel, Freunden. Kleine und grosse Dramen, aber auch die glücklichsten Momente erfahren wir dort, im Familienkreis. Erinnerungen an das Zuhause gehören zu den existenziellen Prägungen, genauso wie die bittere Erfahrung von Entfremdung und Verlust. Wenn Fotoschaffende ihren Apparat nicht wie gewohnt auf die Aussenwelt richten, sondern auf das scheinbar Naheliegendste, was geschieht dann? Die Ausstellung «Home Stories» erkundet den ambivalenten Ort des privaten Rückzugs und der Herkunft – das Daheim. Mit drei aktuellen Positionen aus der Schweiz wirft sie einen Blick auf die Themen Familiengeschichte, Kindheit und Zugehörigkeit. Dabei spielen zeitgenössische Formen des Storytelling eine zentrale Rolle, von der Dramatisierung von Fotografie vom Einzelbild zur Ausstellungsinstallation bis hin zur Bühne. Fotografie gilt als klassisches Medium zur Bewahrung von Erinnerungen. Sie ist die Nabelschnur in die Vergangenheit, ein Seelenanker, verhaftet im Grund der eigenen Herkunft. Sie bezeugt die vergangene Existenz des Abgebildeten und trägt dessen Vergänglichkeit bereits in sich. Fotografie vermag jedoch mehr als die reine Abbildung des «So-ist-es-gewesen» (Roland Barthes). In den Händen von Anne Golaz, Tom Licht und Stéphane Winter wird sie vielmehr zum Instrument einer zweifelhaften Selbstvergewisserung in einer Zeit globalen Nomadentums und unsteter Lebensentwürfe. Dahinter verbirgt sich die Einsicht, dass Erinnerung per se etwas Unstetes und letztlich Unfixierbares ist. Fotografie wird so zum Instrument einer spekulativen Rekonstruktion des Vergangenen: Sie lotet den Bereich emotionaler Instabilität, von Faktizität und Fiktion aus.

Autobiografisch inspiriert, handeln die ausgewählten Arbeiten von der illusorischen Natur des Versuchs, die Welt festzuhalten. Die Arbeit «Corbeau» («Rabe») von Anne Golaz (geb. 1983, lebt in Montcherand, Schweiz, und Rovaniemi, Finnland) ist über einen Zeitraum von 12 Jahren (2004–2016) entstanden. Alle rund 150 Bilder stehen im Bezug zum selben Ort, dem elterlichen Bauernhof in einer abgelegenen Gemeinde im Waadtland. Mit unterschiedlichen Formaten und Methoden erforscht Anne Golaz die wechselhafte Geschichte dieses Orts, aber auch die Festigung und Auflösung von bildhafter Erinnerung: Klein-, Mittel- und Grossformat, Polaroid, Texte und Zeichnungen fügen sich zu rätselhaften, betörenden Fotoinstallationen. Ohne chronologische Ordnung formieren sie sich zu andeutungsreichen Konstellationen, ohne zu einer eindeutigen Festschreibung des Vergangenen zu gelangen. Menschen kommen und gehen, Dinge verändern sich, ohne zu wissen, wie und warum. Darin klingen fundamentale Themen an: existenzielle Verlorenheit versus Zugehörigkeit zu einem Ort, der Fluss der Zeit, Leben und Tod. «Corbeau» erscheint als Buch bei Mack in London im Juni 2017.

Für seine Arbeit «Daheim» (als Buch erschienen bei Kehrer, 2016) kehrt Tom Licht (geb. 1972 in Sonneberg, Thüringen, lebt in Zürich) nach über zwei Jahrzehnten in sein Elternhaus zurück und überprüft es akribisch auf Zeichen von Veränderung und Stillstand. Heimat liegt hier in den Dingen: So wie die berühmte Madeleine in Marcel Prousts Roman vergangene Gefühle aufblitzen lässt, so begegnet Tom Licht in seinem einstigen Zuhause vertrauten Gegenständen, die Erinnerungen wachrufen. In einer analytischen Bildsprache unterzieht er Ausstattung, Zimmerschmuck und sonstige Fundstücke einer kritischen Betrachtung als Erinnerungsträger. Die Raufasertapete, das Puppenhaus auf dem Dachboden oder das Familienalbum empfehlen sich als vermeintliche Garanten von Dauer und Verlässlichkeit. Dennoch endet die Suche in der Gewissheit, dass «Daheim» für etwas steht, das nie mehr unversehrt zu wiederholen, das ein für allemal verloren ist – eine Condition humaine, die Mitschuld an der stets prekären Existenz des Menschen trägt.

Stéphane Winters (geb. 1974 in Busan, Südkorea, lebt in Vevey) autobiografisches Projekt «Die Winter» umfasst einen Zeitraum von 25 Jahren. Als Einjähriger von einem Schweizer Paar, Röbi und Pierrette, adoptiert, präsentiert er ein Panorama einer kleinbürgerlichen, aber unvergleichlichen Existenz. Es zeigt Familienleben in seinen zärtlichsten und sonderbarsten Momenten: der Vater in Frauenkleidern, die Mutter bei Gymnastikübungen oder im Heavy-Metal-T-Shirt ihres Adoptivsohns. Es entwickelt sich ein Spiel der Posen und Schnappschüsse im Beisein der Kamera und für sie, zwischen komplizenhafter Inszenierung und eingefangenem Alltag. Rund 6’000 Bilder sind so entstanden, bis zum Tod des Vaters 2011. Erst 2016 ordnete Stéphane Winter sein Archiv erstmals (Publikation «Die Winter», Editions GwinZegal). Ohne seine Herkunft zu verniedlichen oder zu verhöhnen, ist so ein augenzwinkerndes Zeugnis einer Adoptionsgeschichte entstanden, in der die Dreizimmerwohunung in einer Lausanner Vorortsgemeinde zur Bühne einer glücklichen Jugend wird.

Die Ausstellung wird unterstützt durch Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung und Stiftung Erna und Curt Burgauer. Anne Golaz: Courtesy Galerie C. Kuratiert von Sascha Renner.

Veranstaltung
Doppelveranstaltung zur Finissage am Samstag, 10. Juni 2017:
16.30 Uhr Öffentliche Führung mit Anne Golaz, Tom Licht und Stéphane Winter
18.00 Uhr Musikalische Spoken-Word-Reise zu den Bildern von Anne Golaz, von Antoine Jaccoud (Text) und Anne Golaz, mit Max Rüdlinger (Sprechstimme) und Adi Blum (Musik). Eine Zusammenarbeit von Antoine Jaccoud und Anne Golaz mit Geschichten, die sich aus den Fotografien ableiten. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich.