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19.08.2019 - 28.09.2019

Ferox, the Forgotten Archives ++VERLÄNGERT++

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Täglich begegnen wir Bildern, die wir nicht überprüfen können. Seien es Fotografien aus Kriegsgebieten, die für Zivilisten kaum betretbar sind, seien es Astrofotografien, die ferne Gestirne oder Errungenschaften der Raumfahrt darstellen: Wir sind aufgefordert, ihnen Glauben zu schenken. Selber verifizieren können wir sie nicht, weil es dazu teurer Apparaturen oder der Augenzeugenschaft bedarf. Aber was bringt uns dazu, einer Fotografie zu vertrauen oder sie in Zweifel zu ziehen – wie muss sie beschaffen sein, und welche Rolle spielt ihr Erscheinungskontext?

Eine künstlerische Versuchsanordnung
Fragen wie diese haben Nicolas Polli zu einem künstlerischen Experiment angeregt: Würde es möglich sein, einen wissenschaftlichen Archivbestand vollumfänglich zu «erfinden» und als echt auszugeben? Ende 2016 – just in jenem Jahr, als «Fake News» zum Anglizismus des Jahres gekürt wurde – begann er damit, seine Hypothese mit einer umfangreichen Versuchsanordnung zu überprüfen. Er erschuf eine eigene Raumfahrtagentur, die IEMS (für «International Exploration for the Mars Surroundings»). Zwischen 1976 und 2010 arbeiteten Wissenschaftler aus mehreren europäischen Ländern für das zivile Forschungsprogramm. Ausgehend von einem rätselhaften Meteoritenfund in den Schweizer Alpen, suchten sie nach dessen Ursprung und entdeckten dabei Ferox. Die Mission, den neuen Himmelskörper mit einem Rover zu erkunden, scheiterte jedoch, und die Agentur wurde aufgelöst.

Übrig blieb das Archiv: eine umfassende Dokumentation aller Aktivitäten der IEMS, einschliesslich einer Vielzahl wissenschaftlicher Fotografien und Analysen, Renderings und Datensammlungen. In einer 336-seitigen Publikation (erschienen 2018 im Verlag Skinnerboox/Ciao Press) arbeitete Nicolas Polli dieses Material erstmals auf.

Camouflage, Mimikry, Überzeichnung
Die Ausstellung in der COALMINE konfrontiert die Besucher mit der Fülle dieses Archivs und führt sie gleichzeitig auf einen Weg der zunehmenden Verunsicherung. Die kühle Bildsprache, die fotografischen Spezialverfahren, die technischen Apparaturen und Diagramme und der wissenschaftliche Jargon untermauern den Wahrheitsanspruch. Sämtliche Elemente der Präsentation verbinden sich zu einem glaubwürdigen Narrativ, das jedoch bei genauerer Betrachtung Risse und Inkongruenzen offenbart.

Das Projekt versucht Sprach- und Bildpolitiken aufzudecken, wie sie im Kraftfeld des wissenschaftlichen, medialen und politischen Systems verwendet werden. Es eignet sich dessen visuelle Register an und hebt sie durch die Mittel des Mimikry und der Überzeichnung ins Bewusstsein. Auf formaler Ebene untersucht Nicolas Polli die Beziehung zwischen Fotografie und Grafikdesign sowie zwischen Wissenschaft und Storytelling. Mit einem Augenzwinkern, analytischem Spürsinn und enormer Schöpfungskraft leistet er damit einen künstlerischen Beitrag zu einigen der relevantesten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit.

Künstlerbiografie
Nicolas Polli ist ein Schweizer Fotograf und Grafikdesigner, geboren 1989 in Brusino Arsizio TI. Er lebt in Lausanne, wo er an der ECAL (Ecole Cantonal d’Art de Lausanne) als Lehrassistent tätig ist. 2012 gründete er zusammen mit Salvatore Vitale «YET», eine internationale Zeitschrift für zeitgenössische Fotografie. Für seine jüngste Fotoarbeit «Ferox, the Forgotten Archives» wurde er für den Image Vevey Book Award, Kassel Book Award, Unseen Book Award, Luma Foundation Book Award und Aperture First Book Award nominiert. 2016 wurde er für den Prix de la Relève photographique der Pro Helvetia ausgewählt und 2018 mit einem Swiss Design Award ausgezeichnet. Im Jahr 2018 gründete er den Verlag CIAO Press.

Mit grosszügiger Unterstützung von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, und der Dr. Georg und Josi Guggenheim-Stiftung.