
Bonaventura
Im Jahr 1819 emigrierten 2000 Schweizer nach Brasilien, angetrieben von Hungersnot und ökonomischer Krise. Die Beschwerlichkeit der Schiffsreise, deren mangelhafte Organisation und Krankheiten forderten einen hohen Tribut: Jeder siebte Siedler starb. Die Verbliebenen gründeten die Siedlung Nova Friburgo in den Bergen nahe Rio de Janeiro. Der Auswanderung vorausgegangen war eine Katastrophe: der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora und die dadurch hervorgerufenen Missernten in der Schweiz – ein bemerkenswertes Beispiel «verknüpfter» Geschichte, die in der Gegenwart ihr Echo findet: Auswanderung aufgrund klimatischer und wirtschaftlicher Phänomene.
In seiner Betrachtung erinnert Thomas Brasey (*1980, lebt in Lausanne) auf sehr persönliche Weise an den Überlebenskampf der Schweizer Siedler. Seine dreiteilige Serie umfasst Landschaften und Porträts, entstanden in und um Nova Friburgo, sowie im Studio inszenierte Objekte in Schwarzweiss: allesamt subtile Hinweise auf Episoden der Auswanderergeschichte. So spielt ein Weisser Hai auf die zahlreichen Bestattungen auf See an, aber auch auf die skrupellosen Schleuser der Brasilienreise. Brasey gibt damit einer in Briefen und Tagebüchern zwar schriftlich fixierten, aber bildarmen historischen Erzählung fotografische Gestalt.
Über die historische Annäherung hinaus stellt die ArbeitFragen nach der tragischen Aktualität von Emigration. Sie verbindet Dokumentation und Inszenierung und zeugt von der narrativen Kraft eines Fotografen, der sich als Geschichtenerzähler, Autor und Regisseur versteht.
Eine Ausstellung im COALMINE Forum für Dokumentarfotografie vom 28.04. bis 16.06.2018, kuratiert von Sascha Renner. «Boaventura» entstand im Rahmen der «Fotografischen Ermittlung: Thema Freiburg» («Enquête photographique fribourgeoise») und wurde zuvor im Musée gruérien in Bulle ausgestellt. Mit Unterstützung von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung. Publikation: Thomas Brasey, Boaventura, mit Texten von Christophe Mauron und Sascha Renner, Kehrer Verlag, 2017, 136 S., CHF 45.

Sascha Renner
Sascha Renner (geb. 1973) ist ein in Zürich lebender Kurator und Autor. Seit 2016 Kurator und Leiter Kommunikation, seit 2018 stellvertretender Direktor der Fotostiftung Schweiz, Winterthur, Schweiz. Er erwarb den Master of Arts in Kunstgeschichte und Ethnologie an der Universität Zürich. 2001-2010 Kunstkritiker und Kunstredaktor beim „Tages-Anzeiger“ und „züritipp“. 2010-2013 Redaktorin für Bildende Kunst beim Schweizer Radio „SRF 2 Kultur“. 2012-2020 Kurator des Coalmine Forums für Dokumentarfotografie, Winterthur. Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Erna und Curt Burgauer, Zürich, und der Stiftung Righini-Fries, Zürich. Seine Arbeit wurde mit dem Kunstvermittlungspreis der Stadt Zürich ausgezeichnet. Seine Interessen liegen in den Bereichen Storytelling, kuratierende Fotografie, Dokumentarismus und visuelle Kulturen. Er hat in Zeitungen, Magazinen und Katalogen über Fotografie und bildende Kunst publiziert und ist als Juror, Coach, Portfolioprüfer, Lehrer und Referent tätig.