Lade Veranstaltungen
31.10.2014 - 19.12.2014

Bilderberg. Topografie der Macht

arrow left arrow right

Giacomo Bianchetti (*1982 in Locarno, lebt und arbeitet in Lausanne) widmet sich seit mehreren Jahren einem brisanten Themenkreis: der internationalen Machtordnung und dem Agieren von Konzernen. Mit den dokumentarisch-künstlerischen Mitteln der Fotografie und der Performance untersucht er die Reichweite wirtschaftlicher und politischer Einflussnahme, die Mechanismen von Geheimhaltung, Enthüllung und medialer Kontrolle, das Recht am privaten und öffentlichen Grund sowie die physische Grenze zwischen beiden. Giacomo Bianchetti nutzt die physische Präsenz seiner Person und seiner Kamera. Er nähert sich Firmenportalen oder Tagungszentren. Demonstrativ und langsam erstellt er mit seiner Fachkamera Bilder. Allein der unschuldige Akt des Fotografierens genügt jedoch, um Misstrauen und Ablehnung hervorzurufen. Die Anwesenheit des Fotografen gilt als unerwünscht. Die Versuche von Aufsichtspersonal und Sicherheitskräften, ihn wegzuweisen, zeugen vom unbedingten Bestreben, den Informationsfluss zu kontrollieren und einzig das selbst erzeugte öffentliche Bild zuzulassen. Mit einfachsten Mitteln gelingt es dem Fotografen, die Macht soweit herauszufordern, dass sie sich selbst entlarvt.

In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in der COALMINE richtet Giacomo Bianchetti sein Augenmerk beispielhaft auf die Bilderberg-Konferenz, ein geheimnisumwittertes Treffen von 130 einflussreichen Führungspersönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft. Das hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschottete Treffen findet jedes Jahr an einem anderen Ort statt. Wie schon 2013 in der Nähe von London, so näherte sich der Fotograf auch dieses Jahr in Kopenhagen ostentativ mit seiner Fachkamera dem Tagungsgelände. Dieses verwandelt sich während der Konferenz in eine abgeriegelte Hochsicherheitszone, die vom privaten auf den öffentlichen Raum übergreift.

In unaufgeregten, sorgfältig komponierten Bildern werden die temporären Grenzziehungen vom Fotografen abgetastet und minutiös festgehalten. Immer wieder kommt es dabei zur direkten Konfrontation mit den Sicherheitskräften. Auszüge der Gesprächsprotokolle umrahmen die Fotografien und finden sich in der Ausstellung wieder. Die Absichten des Dokumentaristen werden in Zweifel gezogen und die Berechtigung seines Tuns in Frage gestellt. In einem experimentellen Dispositiv offenbart Giacomo Bianchetti so die faktischen und juristischen Grenzen der Informationsbeschaffung und den Wunsch der Konferenzteilnehmer nach Abgrenzung. Das Eigentliche entzieht sich der Darstellung. Es entsteht ein Bild der Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber der Unantastbarkeit höherer Interessen. Auch in seiner zweiten Werkserie in der COALMINE mit dem Namen „Can I“ nutzt der Absolvent der Fotofachklasse Vevey seine Präsenz, um Interaktionen auszulösen. Auf öffentlichem Boden und mit kurzer Brennweite fotografiert er die Portale der zwanzig grössten Schweizer Unternehmen, die zusammen den Swiss Market Index (SMI) bilden, den bedeutendsten Aktienindex der Schweiz. Die im SMI enthaltenen Titel entsprechen rund 90 Prozent der Marktkapitalisierung aller börsenkotierten Schweizer Unternehmen. Auch hier ist der Fotograf ein unerwünschter Gast, wie die Wegweisungsversuche des Aufsichtspersonals belegen. Seine physische Position im Raum ist dabei von massgeblicher Bedeutung. Der Fotograf tastet sich dicht an die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Grund heran und dokumentiert seinen Standpunkt akribisch. Die nachfolgenden Wortwechsel zeigen, dass die geltende Rechtslage, die derartige Aufnahmen gestattet, von den betreffenden Firmen oft in Frage gestellt oder ignoriert wird.

Die Transkripte der Gesprächsprotokolle sind im Corporate Font, der jeweiligen Firmenschrift, gehalten und auf Texttafeln in die Ausstellung integriert, wo sie die Fotografien flankieren. Auf bemerkenswerte Weise gelingt es Giacomo Bianchetti, ein wesentliches Merkmal der mediengesteuerten Marktökonomie offenzulegen: dass selbst eine einzelne Fotografie eine Gefährdung des öffentlichen Bildes darstellt, das für Konsumenten und Shareholder aufrechterhalten werden muss. Beruhend auf einem einzigartigen Konzept und der Verbindung unterschiedlicher künstlerischer Mittel – Performance, Fotografie, Audio und Transkripte – provoziert Giacomo Bianchetti entblössende Reaktionen mittels einer unschuldigen Geste: des Fotografierens. Die Ausstellung umfasst rund 40 Fotografien der Serien „Bilderberg“ (2014) sowie „Can I“ (2012). Über einen eigens entwickelten interaktiven Tablet-Guide können sich Besucher eine zweite Ausstellungsebene erschliessen und multimediale Werke aufrufen. Die Ausstellung wird von Sascha Renner kuratiert. Die Ausstellung wird unterstützt durch Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung.